Meteorologische Zeitschrift
hrsg. Von der Deutschen meteorologischen Gesellschaft, Österreichischen Gesellschaft für Meteorologie, Schweizerischen Gesellschaft für Meteorologie

pp. 190-191; Band 34, Verlag Bornträger, Stuttgart 1917


Vincenc C. Strouhal


Das Summen In den Telegraphendrähten.


Im Februarheft dieser Zeitschrift wird anläßlich der Diskussionen über das Summen der Telegraphendrähte auch meiner vor längerer Zeit angestellten Untersuchungen Erwähnung getan und daran die Bemerkung geknüpft, daß diese Untersuchungen „so gut wie vollkommen unbekannt blieben, weil sie nicht deutsch veröffentlicht wurden". Dies ist nicht zutreffend. Meine Arbeit erschien als Habilitationsschrift im Jahre 1878 bei Stahel in Würzburg in deutscher Sprache unter dem Titel: „Über eine besondere Art der Tonerregung", wurde dann in die Verhandlungen der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzburg aufgenommen und später auch noch in Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 5, 216, 1878 veröffentlicht. Da ich sehe, daß die Frage, wie das Summen der Telegraphendrähte zu erklären sei, in dieser Zeitschrift wiederholt behandelt wurde, so will ich mir erlauben, auch meinerseits einige Bemerkungen hinzuzufügen, die sich an meine Arbeit anschließen und die vielleicht, da es sich um eine allgemein bekannte Erscheinung handelt, auch weitere Kreise interessieren wird.

Der Zweck meiner Arbeit war ursprünglich, die Töne zu untersuchen, welche die an scharfen Ecken, Kanten, Drähten u. a. strömende Luft hervorbringt. Solche Töne in besonderer Reinheit zu beobachten hat jedermann Gelegenheit. Man pflegt bei windigem Wetter seinen Hut mittels einer Schnur zu sichern, die man an einem Knopf seines Rockes anbindet. Wenn man nun diese Schnur seitlich vom Hut nahe am Ohre herunterfährt und festhält, so hört man, wie die vorbeistreifende Luft einem ein Liedchen vorpfeift, das meteorologisch sehr fesselnd ist. Die Melodie, bald steigend und wieder fallend, bald in hohen Lagen sich bewegend und in tiefere übergehend, unruhig hüpfend und springend, erzählt einem, wie kompliziert die Luftbewegung ist, die wir Wind nennen. Hier erkennt man den Charakter dieser Bewegung in empfindlicher Weise und in reizvollen Details, welche die gewöhnlichen Anemometer vollends verdecken. Um nun solche Töne, die der Wind an stehenden Drähten hervorbringt, zu untersuchen, kehrte ich die Sache um und führte verschiedene Drähte mittels einer Zentrifugalmaschine parallel herum in ruhender Luft, mit verschiedener konstant eingehaltener Geschwindigkeit und beobachtete den Zusammenhang zwischen der Höhe des Tones ich nannte ihn den Reibungston und der Bewegungsgeschwindigkeit. Die Resultate dieser Untersuchungen wurden vom Herrn Referenten Wilhelm Schmidt richtig mitgeteilt und ich brauche deshalb nicht näher darauf einzugehen.

Eines Tages wollte ich bei einem dünnen Messingdraht den Reibungston, bei recht kleiner Geschwindigkeit, die ich möglichst einhielt, bestimmen. Der Ton war kaum hörbar. Da vernahm ich ganz erstaunt wie der Ton langsam anschwoll, immer stärker wurde und schließlich sich zu einem klaren, sonoren Ton entwickelte. Es war der durch den Reibungston angeregte Drahtton. In einem in der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzburg am 16. Februar 1878 gehaltenen Vortrag wiederholte ich das Experiment und beobachtete das gleiche Erstaunen bei den Zuhörern. Diese neue Erscheinung veränderte den weiteren Plan meiner Arbeit vollständig. Jetzt suchte ich durch Reibungstöne die Drahttöne zu erhalten und war überrascht, wie viele solche Töne

– Obertöne des Drahtes ich isoliert erhielt, oft über 20. Die Drähte wurden, um die Tonentwickelung zu unterstützen, zwischen scharfen ganten zweier Prismen gespannt. Es waren Stahl- und Messingdrähte. Einzelne von den Obertönen ertönten besonders stark und klar; solche tönten noch nach, als der Reibungston schon vorauseilte und als infolgedessen schon der nächste Oberton entstand. Und so geschah es oft, daß zwei, ja selbst drei nahe Obertöne gleichzeitig ertönten. Aber auch das beobachtete ich, daß zuweilen einzelne Obertöne nur schwer zu erhalten waren; der Draht wollte nicht ansprechen. Die Anwendung dieser Erscheinungen auf die Töne der Aeolsharfe und insbesondere der Telegraphendrähte ist naheliegend und leicht, und ich schließe mich den Deduktionen des Referenten, Herrn W. Schmidt, vollständig an. Soll ein Drahtton durch einen nahezu gleich hohen Reibungston angeregt werden, so ist es notwendig, daß dieser Reibungston eine gewisse Zeit gleichmäßig andauert. Dies ist aber nur bei schwacher Luftbewegung der Fall; bei schärferen Winden wechselt die Windgeschwindigkeit, wie oben bemerkt wurde, rasch, die Luft strömt stoßweise unruhig, unregelmäßig. So ist es wohl begreiflich, daß die Telegraphendrähte nur bei schwachen Winden tönen, bei stärkeren schweigen. Sind mehrere Drähte von gleichem Material und gleichem Durchmesser nebeneinander gespannt, so ist damit nicht gesagt, daß sie gleichzeitig in gleicher Höhe ertönen werden. Es handelt sich um den Drahtton; dieser ist aber bedingt durch die Spannung des Drahtes und seinen inneren Elastizitätszustand. Selten werden diese bei allen Drähten gleich sein. Deshalb werden im allgemeinen nicht alle solche Drähte auf denselben Reibungston ansprechen. Gewiß ist auch eine eventuelle Torsinn des Drahtes nicht ohne Einfluß, daß sie jedoch die primäre Ursache des Summens wäre, kann ich nicht zugeben. Meine Drähte waren alle torsionsfrei. Nebenbei gesagt, ist auch der Satz „Messingdrähte tönen gar nicht" keineswegs richtig; ich habe zumeist mit Messingdrähten experimentiert

Was den Einfluß der Temperatur betrifft, so wird mit steigender Temperatur der Reibungston - wie ich nachgewiesen habe - tiefer, und auch der Drahtton wird unter sonst gleichen Umständen tiefer, weil durch Erwärmung die Spannung des Drahtes nachläßt.

Eine bemerkenswerte Analogie zu der hier besprochenen Erscheinung bietet die Anregung der Pfeifentöne durch Reibungstöne. Bei den Labialpfeifen strömt die Luft aus einer Spalte gegen die Kante, welche die Oberlippe der Pfeife bildet. Hier entsteht ein Reibungston, dessen Höhe von der Strömungsgeschwindigkeit abhängt. Durch ihn wird die Luftsäule zum Mitschwingen angeregt. Bei passender Geschwindigkeit entsteht der Grundton, bei gesteigerter Geschwindigkeit überspringt derselbe in einen der Obertöne, die oft in größerer Zahl durch in die Höhe steigende Reibungstöne angeregt werden. In den Sammlungen des von mir geleiteten Instituts habe ich zwei Messingpfeifen von kleinem Kaliber, eine offene und eine gedeckte. Wenn ich den vom Blasebalg an die Pfeifen mittels eines Kautschukschlauches geleiteten Luftstrom mit der Hand passend drossele, und damit die Höhe des Reibungstones ändere, kann ich eine ganze Reihe der Obertöne hervorbringen, bei der offenen die geraden und ungeraden, bei der gedeckten nur die ungeraden; die Pfeife singt, allerdings nur in den ihr eigenen Obertönen.

Im Volke ist die Meinung verbreitet, wenn die Telegraphendrähte tönen, daß man telegraphiert. Absurd ist die Meinung gerade nicht. Die Drähte befinden sich im magnetischen Felde unserer Erde. Da sie horizontal gespannt sind, so kommt bei ihnen die Vertikalkomponente (bei uns etwas über 0.3 Gauß) zur Geltung. Ein Stromstoß verursacht wie beim Saitengalvanometer eine Ausweicheng von der Ruhelage und zwar transversal gegen die Länge des Drahtes und gegen die Kraftlinien des Feldes, somit in der Horizontalebene. Der Sinn der Ausweichung wird nach bekannter Regel (Linke-Hand-Regel) bestimmt. Wenn nun die Frequenz der Stromstöße übereinstimmen würde mit der Schwingungszahl des Drahttones, so wäre es denkbar, daß dadurch ein Tönen des Drahtes entstehen könnte. Die Bedingung des Synchronismus wird jedoch beim Telegraphieren nicht erfüllt, auch wenn man davon absehen würde, daß sowohl das Feld als auch der Strom sehr schwach ist. Eher wäre bei einem Wechselstrom die Erfüllung des Synchronismus möglich und dadurch das Tönen des Drahtes, wenn nicht die Schwäche des Feldes hinderlich wäre. Wenn also auch der Volksglaube nicht gerade absurd ist, so entspricht er doch nicht den tatsächlichen Verhältnissen.


Prag, 17. März 1917 Dr. V. Strouhal.