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Billert, Karl Friedrich August
Aeolsharfe, die oder Windharfe
in: Musikalisches Conversations-Lexikon
Musical Dictionary by Mendel, Hermann, 1834-1876; and Reissmann, August, 1825-1903
Published in Berlin/ Germany by Mendel, Hermann 1870; Verlag von L.Heimann, Wilhelmstrasse 91; New-York, J.Schuberth & Co.; 820 Broadway; pp. 60-62
Aeolsharfe, die, oder Windharfe,
ist ein harfenartiges Saiteninstrument, welches, wie der Name bereits andeutet, durch freie Luftströmungen tönend erregt wird. Wenn schon die Harfe uns seelenvolle, zum Herzen sprechende Klangfreuden in leisen Ahnungsschauern, verhallenden Wehmuthsklängen, stürmenden Leidenschaften oder leichten, neckischen Scherzen bereiten kann, jenachdem der Spieler den Saiten solche Empfindungen zu entlocken sich bestrebt: so offenbaren sich diese Eigenheiten in einem viel höheren Maasse bei der Aeolsharfe, indem sich auf diesem Instrument nicht allein die Tonerregungen in gleicher Art von selbst entwickeln, sondern auch noch deren Modificationen, das Zu- und Abnehmen der Klänge wie das Beginnen derselben beinahe aus dem Nichts, in allen Momenten nach der Einwirkung des Windes für unser Wahrnehmungsvermögen nur in der vollendetsten Vollkommenheit zu zeigen vermögen. Ein akkordisches Wogen, bei dem unsere dadurch geweckten Seelenempfindungen mehr einer Märchenwelt als der Wirklichkeit angehören, das sich vom Nichts fast bis ins Unendliche auszudehnen scheint, in stetem Wechsel bald als eine, bald als zwei oder mehr Tonmassen sich kundgebend und hierin in dem einem Moment einem anschwellenden, nach und nach dahinsterbenden Gesänge entfernter Chöre, in dem anderen, unter neckischen, flüchtigen, mehrere Oktaven durcheilenden Tonläufen, einer aetherischen Elfenmusik ähnlich ist, badet die Seele des Lauschers in einem Tonmeer, das fast alles Irdischen bar ist ; was anders, als dass sich auch alle musikalisch-poetisch begabten Naturen, gleichviel ob Laien oder Kenner, mit derselben Innigkeit an diesem sanft, unmittelbar und ohne Reflexion Genüsse bereitenden Naturquell laben. —Schon sehr frühe Berichte erzählen, dass um Mitternacht Davids Harfe oder Kinnor ertönte, wenn der rauhe Nord durch die Saiten derselben fuhr. Unstreitig wurde diese Naturerscheinung damals, also etwa 1000 v. Chr., wohl für eine übernatürliche Glorification des gottbegnadigten unsterblichen Sängers zur Harfe angesehen, da trotz ihrer Erwähnung sich innerhalb von beinahe 2000 Jahren nirgends auch nur die geringste Andeutung findet, dass man diese Tonerregung als irdisch anschaute und nachzuahmen suchte. Die ersten Versuche, deren die Geschichte erwähnt, die des 988 n. Chr. in England gestorbenen heiligen Dunstan, wurden von seiner Mitwelt auch noch ganz in der oben angedeuteten Weise aufgefasst, denn da er sich selbst die Macht, dies Phänomen erscheinen lassen zu können, vindicirte, so klagte man denselben der Zauberei an, indem man ihn beschuldigte, eine Harfe geschaffen zu haben, welche von selbst spiele. Erst der Jesuitenpater Athnasius Kircher, der 1602 im Fulda' schen geboren war und 1680 zu Rom starb, beschrieb, ohne desshalb angefeindet zu werden, ein Saiteninstrument in seiner Phonurgia nova, »Neue Hall- und Klingkunst« S. 148, das vom Winde tönend gemacht werden konnte, und welches in Form und Einrichtung der gegenwärtigen Aeolsharfe gleich ist ; doch scheint die musikliebende Gesellschaft jener Tage fast gar keine Notiz von diesem Instrument genommen zu haben. Erst durch die Beschreibung eines solchen in dem Göttinger Taschenkalender des Jahres 1792 von P o p e erfreute sich diese Entdeckung einer allgemeineren Beachtung. Nach dieser Beschreibung muss die Aeolsharfe einen tannenen Resonanzkasten in Form eines Parallelipipidums von 3'—6' Länge, 8"—14" Breite und 3"—6" Tiefe haben, welcher auf einer Seite einen dünnen, gleichstark gearbeiteten Resonanzboden mit einem Schallloche besitzt, worüber 8—12 im Gleichklange gestimmte Darmsaiten leicht gespannt werden. Dieser Kasten muss so in einer Spalte von Thüren, Fenstern oder in der Oeffnung eines Gemäuers angebracht werden, dass der durch die spitzwinklich zu einander geneigten Flächen sich verdichtende Luftstrom schiefwinklich den Resonanzboden trifft. —Später wurde durch Langguth eine transversale Aeolsharfe construirt, welche in den sogenannten Windklappen einen unmittelbaren Ersatz für die schiefen, einander zugeneigten, den Luftstrom verdichtenden Ebenen am Instrumente selbst hatte. —Noch mehr verbesserte den Bau der Aeolsharfe der Akustiker Kaufmann zu Dresden, indem er beide Theile, Instrument und Windklappen, sonderte. Er gab dem Resonanzkasten dieselbe Gestalt und Ausdehnung, bespannte aber den Resonanzboden nur mit 4, höchstens 5 Saiten von ungleicher Dicke, welche im Einklänge gestimmt wurden, und beobachtete sonst an dem Baue dieses Instrumentes schon alle die Bedingungen der L. v. Sch., welche die bestmögliche Wirkung erheischten. Der andere Theil dieser Aeolsharfe, der Windfang, welcher so construirt ist, dass er den Luftstrom stetig beengt, hat in Höhe der Saiten über dem Sangboden in seinen Ebenen eine fast rechtwinkelige Fortsetzung nach aussen, die den sich beengenden Luftzügen ein geradliniges Fortlaufen gestattet, so dass gerade im Durchschnittspunkte der verschiedenen Luftströme die einzelnen Saiten von diesem getroffen werden. —Die bisher als vollkommenste bekannte Aeolsharfe fertigte Heinrich Christoph Koch an . Er wandte einen Resonanzboden ohne Schallloch dazu an, indem er in Erfahrung gebracht hatte, dass auf einem solchen ausgespannte Saiten straffer angezogen werden konnten, und trotzdem, ohne einer gesteigerten Luftströmung zu bedürfen, tönendere Wirkungen hervorgebracht wurden. Die Ursache davon aber war, dass die geschlossene Luftsäule im Sangkasten durch ihren Gegendruck, wenn der Sangboden des Kastens sehr dünn gearbeitet war, eine stärkere Resonanz erzeugte, als der offene Luftraum eines mit Schallloch versehenen Resonanzbodens. Wir wollen hier die Beschreibung dieser Aeolsharfe, welche sich Koch baute, mit seinen eigenen Worten wiedergeben. Er sagt : »Die Saiten, welche die beste Wirkung auf meinem etwas über drei Schuh hohen Instrumente hervorbrachten, waren Violinquarten ; und eine solche Saite mit Silberdraht von No. 15, eben so enge wie die G-Saite auf der Violine besponnen, gab bei ähnlicher Spannung, wie die der unbesponnenen, die tiefere Octave derselben an, und die Probe zeigte, dass diese übersponnene Saite von der Luft eben so leicht wie die übrigen zur Ansprache gebracht wurde. Ich bezog nun mein auf sieben Saiten eingerichtetes Instrument mit 5 unbesponnenen und 2 besponnenen Saiten, von welchen die letzteren auf derjenigen Seite des Instruments aufgezogen wurden, auf welcher die Windflügel nicht befindlich sind, damit der Windstrom zuerst die uebersponnenen Saiten treffen musste. Das Spiel der Aeolsharfe gewann durch diese beiden tieferen Saiten nach seiner Art ebensoviel wie das der Orgel durch das Pedal. Weil es mir ferner sehr wahrscheinlich war, dass die Verschiedenheit der gleichzeitig sich bildenden Schwingungsknoten der klingenden Saiten in gleichem Verhältnisse mit der Vermehrung der Saiten zunehmen müsse, so brachte ich zwischen den 7 Saiten noch 6 neue an. Allein nun sprachen nur die zunächst an den beiden Seitenwänden befindlichen an. Ohne Zweifel lagen die Saiten nunmehr zu enge, als dass der in die Quere geleitete Luftstrom zwischen jeder so insbesondere hindurchstreifen konnte, wie zum Ansprechen derselben erforderlich. Desshalb kam ich auf den Einfall, die sechs neuen Saiten in eine besondere Reihe zu bringen, und setzte demnach ganz nahe an die gewöhnlichen Stege, und zwar einwärts nach dem in der Mitte der Resonanzdecke befindlichen Schallloche zu, zwei um einen halben Zoll höhere Stege, welche mit Löchern durchbrochen waren, durch welche die ersten 7 auf den niederen Stegen ruhenden Saiten durchliefen ohne das Holz zu berühren. Ueber die beiden höheren Stege wurden die hinzugekommenen 6 Saiten (unter denen ebenfalls eine besponnene sich befand) ausgespannt, und zwar so, dass jede höher liegende immer zwischen 2 tiefer liegende fällt. Auf diese Art erhielt das Instrument zwei verschiedene Chöre, die bei den verschiedenen Modificationen eines nicht allzustarken Luftstromes wechselweis ertönen, bei zunehmender Stärke des Windzuges aber beide sich vereinigen und das diesem Instrumente eigene unnachahmliche Crescendo und Decrescendo noch reizender machen. Weil es mir nun mit Hinzufügung einer tieferen Octave gelungen war, kam ich auf den Gedanken, es auch noch mit einer höheren Octave zu versuchen. Nach vielem vergeblichen Bemühen, eine oder zwei in die höhere Octave gestimmte Saiten zur Ansprache zu bringen, fand ich endlich das bis dahin übersehene leichteste Mittel, zu diesem Zwecke zu gelangen. Ich setzte nämlich unter die erste oder zweite der übersponnenen Saiten der unteren Reihe, und zwar gerade in die Mitte derselben, ein Stück Steg, welches jedoch etwa ¼ Zoll höher war als die beiden nie- deren Stege, so dass auf der Schärfe desselben die Saite in zwei gleiche Theile sich theilen musste. Die Wirkung dieser höheren Octave, die überhaupt nur bei gewissen Modificationen des auf das Instrument wirkenden Luftstromes anspricht, und eine merklich schwächere Saite als die übrigen sind erfordert, ist zwar nicht so auffallend als die der tieferen Octave, dennoch aber im Verlauf des Spieles unverkennbar«. —Nach unserem Wissen und bisherigen Versuchen ist diese Aeolsharfe die vollendetste, und es würde höchstens nur als natürliche Folge der Erfahrung: dass sich eine Tonquelle auf die kubische Ausdehnung der Grundfläche ausdehnen lässt, einem späteren Grübler über neue Coustructionen der Aeolsharfe noch als nächstliegendes Moment eine Vermehrung der Saitenreihen zu empfehlen sein ; zur Belohnung für die praktische Ausführung dieser theoretischen Wahrheit hätte der Entdecker wahrscheinlich einen grösseren chorisch wechselnden Reichthum der Töne zu erwarten. —Die Eigenschaft der Aeolsharfe, dass ihre Töne schnell verhallen, hat dies Instrument mit allen anderen derselben Gattung, d. h. der Saiteninstrumente, welche gerissen tönend gemacht werden, gemein. Die einfache Tonwelle der ganzen schwingenden Saite, die vom Resonanzboden ausfliesst, hat zwar eine geringe Oscillationsamplitüde, führt aber einen glockenreinen Ton zum Ohre, welcher in von der Natur selbst entfesselten, oft den Grundton ganz verdrängenden Aliquottönen (s. d.) der Saite eine Harmonie giebt, welche in solcher Art wohl sonst kaum herstellbar ist. Hauptbedingungen der vollendetsten Klangwirkungen dieses Instrumentes sind : dass keine belaubten Bäume oder hindernden Gebäude den klangerregenden Luftstrom in seiner einfachen Richtung irgendwie stören ; dass wo möglich die Abendstunden zur Erregung dieses Tonreiches auserkoren werden, da dann am wenigsten die ungleiche Temperatur verschiedener Luftschichten oder sonstige Schallwirkungen die tönenden Wellenerregungen des Instrumentes zu beeinflussen vermögen ; dass möglichst starke Saiten zum Bezug dieses Instrumentes gewählt werden, und dass der Eigenton des Sangbodens genau dem Tone der meisten im Einklänge gestimmten Saiten desselben gleich ist, indem letztere Bedingung nicht allein eine leichtere Ansprache der Töne, sondern auch die grösstmöglichst reine Intonation befördert, welche sich in einem Umfange von 4 —6 Octaven dem Hörer kundgiebt. —Schliesslich mag hier noch bemerkt werden, dass, wenn man die Saiten nicht im Einklang stimmt, die Aliquottöne der verschiedenen Grundtöne oft in sehr harten Dissonanzen auftreten, die, ohne eine Lösung zu finden, einen um so verletzenderen Eindruck auf den Hörer machen, als gerade solche Tonempfindungen der Seele desselben sonst ein Entzücken bereiten würden. C. B.
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